Christoph Dittrich hat mit seiner umfangreichen Serie „Liquids“ und „Dots“ eine Werkreihe geschaffen, die den Betrachter einlädt, genauer hinzusehen, sich in den Bildraum zu begeben, darin einzutauchen.
Die Dots wie zuvor auch die Liquids befinden sich in und um eine große Form, umspielen sie, durchbrechen sie. Sie tauchen auf und verschwinden wieder, manche davon stehen nahezu plastisch vor dem Bild. Dem Künstler ist es somit gelungen, die Illusion von tiefem Raum entstehen zu lassen.
Das Augenmerk liegt folglich auf der Wahrnehmung von sich wiederholenden Formen in immer wieder neuen Konstellationen, die sich dem Betrachter immer wieder in anderen räumlichen Situationen präsentieren.
Und nicht zuletzt trägt das Spiel mit der Farbe, worin ein nahezu sinnliches Vergnügen liegt, dazu bei, sich auf die Werke Christoph Dittrichs einzulassen.
Das erste Bild ist meistens noch nicht das Einzigartige, das es einmal werden soll, und wo man es auch antrifft, mag es noch so verständlicherweise entstehen, da liegt die Intention, also das Potential an Spannung, noch nicht voll vor, da wird eher, auf die ein oder andere Weise, ebenso zufällig wie bedacht gespielt, geprobt, da ist Bühne und Betrachterraum noch ungeteilt, und es liegt demjenigen, der sein erstes Element in die Form bringt, (vielleicht als bahnbrechenden Entwurf?, als Rekapitulation eines missglückten Hinsehversuchs?), alles an der „Erstausgabe des Gefühls“ (Paul Nizon); das dann a posteriori (als aus der gewonnenen Erfahrung; jede Erfahrung ist ja ein Hauptgewinn) seine singuläre Korrektur erfährt.
Bald aber, wenn sich die Formweise erschliesst, erscheint die Möglichkeit eines über das Einzelne hinausgehenden Zusammenhangs, dann folgt eines aufs andere, und dann versagt das gewöhnliche Verstehen, denn dann wird das Folgen ein Ablauf, dem man zusieht. Man sieht demjenigen, der genau, genauer, am genausten hinsieht, und der nicht (der nie und nimmer), den Blick abwendet zu; denn diesem aufs Einzelne gerichteten Blick wird nicht ausgewichen; also: bloss nicht den Blick wenden, wenn sich das Auge öffnet; und nicht jedes Auge öffnet sich, nicht jede Pore wird empfänglich für die Atemluft, nicht alles springt um in den einzig bezeichnenden Augen-Blick.
Ich sah gerade in Bern Ferdinand Hodlers geradezu gewaltige Bilder, jedes für sich beispielloser Kosmos, und in jedem geschieht, bis ins „Allereinzelste“ vollzogen, genau das, was sich sonst verbirgt: ein Horizont geht auf, ein Gefühl nimmt seinen Lauf; wie sehr auch die Themata etwas anderes vorgeben (die „Enttäuschten“, die „Sehnsucht“, die „verlorenen Seelen“ etc….) aber dann doch: endlich Weite und Trost und Zuversicht, sogar da, wo anstelle der geliebten Sterbenden nur noch Lineares das Unsägliche markiert…
„Sehen wir das Einzigartige nicht mehr, so verblödet unsere Wahrnehmung: wir verlieren uns in einer Welt, die nur noch summarisch oder statistisch, also keine Welt, kein Kosmos mehr ist.“ Adolf Muschg
Es wird wahrscheinlich jemand dann zum Maler, wenn er einfach nicht loslässt, nicht locker lässt; das heisst aber zuvor: er lässt los, er lockert seinen Handgriff, mit dem er die Dinge umschliesst, die ihm das eine Mal gegeben sind, ein anderes Mal im Wege stehen. Und was das Ding für jemanden ist, das zeigt sich in der Art seiner Behandlung. Verstellt es den zu gewinnenden Blick, dann wird man ihm Abstriche versetzen müssen, ist es jedoch primär visionäres Element, dann lädt es sich auf mit optischem Stoff, der im Malakt selbst entsteht; eines ums andere wird zur „Einzelheit“ (Goethe). Und dies, meine ich, geschieht in der visionären Malerei Christoph Dittrichs.
Aber möglicherweise ist der Begriff der Vision nur bedingt zutreffend; allenfalls als auslösender Faktor, dem dann die Arbeit der fortgesetzten Imaginationen folgt, in der das Wiederholen dem Einzelnen und Einzigartigem zu seinem Bildrecht (gibt es das nicht?) verhilft.
Das wegführende Motiv, die Erkundung der Räume, indem ihnen eine Referenz bekundigt, (oder bescheinigt?) wird, die diese zu Entstehungsgebieten wandelt. In ihnen wird eine Feld-Forschung ohne Ende stattfinden. Jede Bildstruktur erscheint vor der Hand (ganz gewiss auch dies), wie vor dem Auge als Rhythmus; als sich abwechselnde, sich jeweils anders empfindende Rhythmen, intoniert von den wandernden Blicken, die durch die Raumtiefen streifen, und dann solch Geschehen ins Bild setzen. Nicht nur in eines, ganz gewiss ein einziges, und nie und nimmer in die feste, unlösliche Form, sondern vielmehr ins Unaufhörliche, das sich eher in ein Pendant klanglicher Verhältnisse setzt; und einzig jeder Klang. Ellipsenartige Bildelemente zirkulieren, streuen als Elementarteilchen vor universalen Fenstern. Die einen mit einer Tendenz zum Auftrieb, steigend, wie wenn sie einer Luftströmung ausgesetzt werden, die ihnen zum Vorkommen verhilft, also diese von Christoph Dittrich so genannten „Liquids“ (vormals flüssige Monaden?), die aber nicht gewichtslos sind, sondern im freien Fall ihre jeweilige bestimmende Formation finden und wiederfinden. Ein Finden, das nicht Einhalt gebietet, das nicht den Endzustand suggeriert, sondern die Unerschöpflichkeit einer solchen Imaginationskraft ansichtig macht. „Wer findet hat einfach nur nicht gründlich genug gesucht“, meinte Nietzsche.
Es taucht nie ein System auf, dem etwas zugeordnet werden muss, dem entsprochen werden muss. Unermüdlich forscht der unstete Blick des malenden Künstlers, wechselt vom Indie-Nähe-Ziehen hin zum Indie-Ferne-Rücken. Dem Künstlerauge liegt jede Einzelheit gleichwertig am Herzen; so nur entwickelt sich die Einheit aus der Vielfalt.
Die Bildoberflächen werden als Aktionsräume immer wieder anders aktiviert, rekapitulieren sie doch ein sehr komplexes Formenspiel; mit dem Einsatz von Nicht-Dingen, denn das genau, scheint mir, sind diese Elemente einer entgrenzten Formel-Welt, die ihre sichtbare Fläche an nichts bestimmtes heftet, viel mehr Bestimmendes (da tönt es hinüber in die Stimme) anschaulich macht. „Hier ist auch wieder eine Verbindung entstanden mit einem der grössten Gesetze, die ich gesehen habe: dem von den hereinbrechenden Rändern“, schreibt Ludwig Hohl und führt aus, dass es eine Abteilung der Dinge untereinander in der gewöhnlichen Sichtbarkeit nur scheinbar gibt, dass der künstlerische Blick nie von deren zusammenhängender Existenz ganz überzeugt wird; und daher der Imaginationskraft soviel mehr Raum einräumt, obwohl sie zunächst von den Sinnen her nicht fassbar ist. Christoph Dittrich, der Maler, erwirkt hier die erweiternde, die notwendige Aufholarbeit und führt in die Mitte hinein, was sich damit dem Betrachterauge öffnet.
Und wenn Kandinsky sagt, „das Bild ist gut gemalt, welches innerlich voll lebt“, dann wird man in diesem Werk, in dem die „vitalen“ Volumina das Einzelne bergen und ent-bergen, einer Lebendigkeit ansichtig, die in jeder Hinsicht überzeugt.
Basel, im Juli 2008