Ulrike Buhl
Gérard A. Goodrow - Das Mysterium des ewigen Werdens und Wandelns
Gedanken zu den aktuellen Arbeiten von Ulrike Buhl
Panta rhei. Nach der Heraklitischen Lehre ist alles im Fluss und nichts bleibt; es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln. Dasselbe könnte man in Bezug auf die eigenwilligen plastischen Arbeiten von Ulrike Buhl behaupten, die von einer organischen – oder vielmehr biomorphen – Formensprache geprägt sind. Es sind Gebilde und Gestalten, die scheinbar aus sich selbst heraus entstehen. Es handelt sich hierbei um eine Art Orthogenese, bei der die Plastiken offenbar eine innere Tendenz besitzen, sich organisch immer weiterzuentwickeln, da sie von einer mysteriösen inneren Triebkraft gesteuert werden. Hierbei geht es nicht um eine evolutionäre Entwicklung, sondern um einen offensichtlich schlagartig einsetzenden Prozess. Man stellt sich vor, wie sich ein erneuter »Big Bang« en miniature immer wieder im Atelier der Künstlerin ereignet – ein wirbelnder Mahlstrom oder gar eine Implosion, die nicht zur Zerstörung, sondern zur Schöpfung führt. Doch der Entstehungsprozess scheint noch nicht vollendet zu sein. Vielmehr sehen wir eine Art Zwischenstand – als ob die Metamorphose noch voll im Gange wäre. Das »Werden« – vielmehr als das »Sein« – spielt also eine herausragende Rolle. Buhls Plastiken sind noch im Begriff zu werden und stellen daher eine kontinuier liche Metamorphose dar.
Durch das Werden entsteht eine innere Dynamik – oder vielleicht auch umgekehrt. Und doch sind Ulrike Buhls Plastiken tatsächlich statisch, machen aber den Eindruck, als würden sie vibrieren bzw. pulsieren. Sie scheinen förmlich zu atmen. Eine scheinbare Magie der Formgebung, die durch viele Rundungen bestimmt wird. Der Kreis, die Sphäre und andere gerundete, geschwungene Formen implizieren Bewegung und symbolisieren gleichzeitig den unendlichen Kreislauf der Natur. Ob wir es hier aber mit einem Mikro oder Makrokosmos zu tun haben, bleibt völlig offen. So wirken Buhls Plastiken gelegentlich wie Modelle, sowohl im buchstäblichen als auch im über tragenen Sinne. Denn sie sind auch modellhaft im Sinne eines neuartigen künstlerischen Umgangs mit der Natur und den Naturphänomenen. Buhls Plastiken sind nicht abstrakt – sie finden ihren Ausgang nicht, wie man vielleicht vermuten würde, in der Natur, bilden die Natur nicht ab, genauso wenig wie sie die Natur verfremden. Im Gegenteil. Vielmehr stellen sie eine Art Kosmogonie dar – ein Erklärungsmodell zur Entstehung und Entwicklung der Welt – sowie eine Hypothese darüber, wie die Natur der zukünftigen Welt aussehen könnte; eine Natur, die vermehrt und verstärkt von Menschen manipuliert, verändert und bestimmt wird.
Zusätzliche Dynamik entsteht durch Buhls Verwendung von Effektlack, der eine eigenwillige optische Wirkung erzeugt ( es ist sicherlich kein Zufall, dass Effektlack vorwiegend in der Autoindustrie Verwendung findet – dort also, wo es häufig auf Geschwindigkeit und Dynamik ankommt, wo die Zukunft wichtiger ist als die Gegenwart). Die spiegelnden, glitzernden Oberflächen reflektieren das Licht und teilweise auch ihre Umgebung. Für den Betrachter scheint sich die Farbigkeit je nach seinem eigenen Standpunkt kontinuierlich zu verändern. Durch den Speziallack
scheinen die biomorphen Gebilde zu fließen und sich ständig zu wandeln. Doch paradoxer weise setzen sich Buhls Werke gleichzeitig durch den Effektlack vom Organischen ab, denn auch wenn sie hier und da in der Natur vorkommt – beispielsweise bei bestimmten Gattungen von Schmetterlingen und Käfern, aber auch bei manchen exotischen Fischen –, weckt die metallisch schimmernde Farbigkeit im Zusammenklang mit der Formgebung eher Assoziationen zu Hightech und ScienceFiction. Wenn sie überhaupt von dieser Erde sind, dann handelt es sich um eine zukünftige Erde, die noch nicht als solche existiert. Auch sie ist also noch im Werden.
Gelegentlich wirken die glitzernden Oberflächen der Plastiken von Ulrike Buhl brüchig – wenn die Oberflächen nicht so fließend anmuten würden, könnte man fast meinen, sie wären spröde. Durch diese »Makel« in den sonst so perfekten Oberflächen wird der prozesshafte Charakter der Werke weiter betont. Risse, Spalten und Lücken sind vielleicht als Zeugnisse der noch stattfindenden Metamorphose der künstlichen Geschöpfe zu verstehen; so also ob sie im Begriff wären, sich zu häuten. Sie scheinen förm lich aus sich selbst heraus zu platzen.
Alles ist im Fluss – und doch bleibt etwas. Es sind die ihnen innewohnenden Widersprüche, die Buhls Plastiken so überaus faszinierend machen. Mikrokosmos und Makrokosmos, Kunst und Wissenschaft bzw. Technologie, Urwesen und Kreaturen aus der entfernten Zukunft, halb Organismus und halb Hightech. Sie befinden sich in einem unaufhörlichen Zustand des Werdens, und doch sind sie vollendet. Aber genau das macht sie aus – und genau das bestätigt ihre enge Verwandtschaft mit der Heraklitischen Lehre, die eine Einheit aller Dinge – also auch der Widersprüche und des Unerklärlichen – postuliert. Aus allem eins und aus einem alles. Man darf auf die weitere Entwicklung der Buhlschen Kosmogonie gespannt sein.
© Gérard A. Goodrow, freier Kurator und Autor, Köln